Atrium
€ 19.80
Der Kunstverein Braunschweig zeigt als erste deutsche Institution einen umfassenden Überblick über die Arbeiten von Thomas Eggerer, der einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Bildgruppen der vergangenen fünf Jahre in den Vordergrund stellt.
Thomas Eggerer lebt seit 1999 in Los Angeles. Während seines Studiums an der Kunstakademie in München stand die Malerei im Zentrum seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Im Anschluss an ein Stipendium ging Eggerer nach New York, wo er sich zunächst von der Malerei abwandte, um Mitte der 90er Jahre als Mitglied von Group Material und zusammen mit Jochen Klein konzeptuelle Projekte zu initiieren, die Fragen nach der eigenen Identität in Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum stellten. An diesen Diskurs anknüpfend, ist seit Eggerers erneuten Hinwendung zur Malerei die Befragung des Selbst und die Rolle des Individuums innerhalb von Gruppen und gesellschaftlichen Prozessen das zentrale Thema seiner Bilder.
Lässt sich bei den frühen Bildern von 1998 bis 2001 oftmals noch eine Akkumulation von Figuren finden, deren Physiognomie weitgehendst detailliert ausformuliert ist, löst Eggerer in den jüngsten Arbeiten die Identität seiner Protagonisten innerhalb von Kollektiven vollends auf. Kerry, nach dem gleichnamigen Film Carrie von Brian de Palma aus dem Jahre 1976, ruft beim Betrachter unweigerlich die Schreckensmomente des Horrorfilms hervor, dessen Hauptdarstellerin durch das Stigma ihrer roten Haare und ihrer übersinnlichen Kräfte zur Außenseiterin stilisiert ist. Durch ihr kupferschimmerndes Haar ist Kerry in Eggerers Bild unter den fünf Figuren sogleich erkennbar. Als wäre der Film angehalten worden, erscheint ihre Bewegung wie eingefroren und unterstreicht ihre ungelenke Hilflosigkeit kurz vor dem Ausbruch von Chaos, Zerstörung und Tod, deren Ankündigung sich bereits wie ein düsterer Schatten über das Bild gelegt hat. Auch in Sweet Valley High, Tennisstunde oder Softball steht die Darstellung des Kollektivs, bei der die Protagonisten vereinzelt vermeintlich im Porträt erkennbar sind, im Vordergrund. Der Blick des anführenden Reiters in der Jagdszene ist suchend in die Ferne gerichtet, die unterschiedlichen Körperhaltungen der tennisspielenden Kinder sind ähnlich detailgenau festgehalten wie Muybridges fotografische Studien zu Bewegungsabläufen, und auch in den dick vermummten Zuschauern des Softballmatches meint der Betrachter vereinzelt Gesichtszüge ausmachen zu können.
Dass es Eggerer nicht um das Porträtieren Einzelner innerhalb einer Gruppe geht, wird in der Gegenüberstellung dieser frühen Arbeiten mit Bildern der letzten zwei Jahre noch offensichtlicher. Ihn interessieren vielmehr Mechanismen von Zugehörigkeit und Ausgrenzung, Konformität und Hierarchie bzw. Möglichkeiten individueller und kollektiver Utopie. Deutlich kleiner im Verhältnis zum Bildumraum sind hier die Figuren angeordnet, und ihre Gesichter werden plakativ. In Hiking Trail geht Eggerer sogar so weit, dass die Auflösung des Porträts der einzel-nen Figuren durch die Regenjacken, die sich diese zum Schutz gegen das Unwetter über ihre Köpfe gestülpt haben, ersetzt wird. Auch in National Parkfunktioniert ein ähnlicher Trick. Alle Figuren bis auf eine Ausnahme sind vom Betrachter abgewandt und nur durch die Variation der Farbigkeit ihrer stilisierten Haarschöpfe unterscheidbar – wie Platzhalter für die Darge-stellten, die sich immer erneut austauschen lassen. Der einzigen dem Betrachter zugewandten Figur meint man schon einmal begegnet zu sein: Ist es derselbe Bärtige mit der typisch amerikanischen Baseballkappe auf dem Kopf, der auch in Softball im Bildzentrum steht?
Sowohl in The Stairs als auch in Atrium sind die in ihrer Anzahl deutlich verringerten Figuren umschlossen von einem architektonischen Bildraum, der sich zugleich in einen reinen Farbraum aufzulösen scheint und in Konkurrenz mit ihnen tritt. Die Personen bewegen sich aus dem Bildzentrum hinaus, als wollten sie Platz einräumen für den Auftritt der Malerei. Hier erfährt Eggerers Umgang mit Farbe und Fläche einen Höhepunkt, wie er sich bereits in frühen nichtfigürlichen Bildern wie Dauphinoder Ambassador ankündigte und nun eine neue Verbindung zwischen den Figurenbildern und den ornamentalen, wie Tarnmuster angelegten Bild-räumen schafft.
Die Bilder mit einzelnen Personen wie The Coach (M), Conductor I und Conductor II oder Eugen funktionieren wie ein roter Faden innerhalb des Werks von Thomas Eggerer und bilden einen Gegenpol zu den "Gruppenbildern". Anders als in letzteren fokussieren sie die Geste des Einzelnen, ebenso im Stillstand begriffen, wie beispielsweise die Übungen der tennisspielenden Kinder, aber zugleich in einer für die Figur typisch erscheinenden Körpersprache und Mimik.
Zur Ausstellung ist ein 72-seitiger Katalog erschienen.
Unser Dank gilt dem Hauptförderer Niedersächsische Lottostiftung.
Ebenfalls danken wir der Stadt Braunschweig, dem Land Niedersachsen und dem Hofbrauhaus Wolters.