Catherine Sullivan and Co.
€ 40
Das Werk von Catherine Sullivan demonstriert die Synergie einer zweifachen künstlerischen Ausbildung: die 1968 in Los Angeles geborene Künstlerin studierte zunächst Schauspiel und Regie und wechselte anschließend in die Bildende Kunst. Seit 1997 schreibt und inszeniert Catherine Sullivan Theaterstücke für den Kunstkontext und realisiert Videofilme und -installationen, deren Konzepte ebenfalls der Dramaturgie eines gespielten Theaterstücks folgen. Die Ausstellung im Kunstverein Braunschweig zeigt den Videofilm Ice Floes of Franz Joseph Land in fünf unterschiedlichen Projektionssequenzen. Referenzartig verwendet die Künstlerin dabei Requisiten und Versatzstücke aus der Filmkulisse, die sie zusammen mit kontext-bezogenen skulpturalen Eingriffen in den Ausstellungsräumen des Hauses Salve Hospes zu einer settingähnlichen Installation inszeniert.
Der Ausgangspunkt von Ice Floes of Franz Joseph Land (Eisschollen in Franz-Joseph-Land) ist die gewaltsame Geiselnahme während der Aufführung des russischen Musicals Nord-Ost durch Tschetschenen in der Moskauer Oper im Oktober 2002. Dieses Ereignis läßt sich als extrem gewaltsames Beispiel einer Konfrontation zwischen Realität und Ideal sowie einem Kampf-system (Terrorismus) verorten, das sich die Bedürfnisse der herrschenden Klasse zunutze macht und die Mehrwerte dieser Bedürfnisse gegen sie kehrt. Insofern, als dass alle beteiligten Personen als "Repräsentanten" betrachtet werden können, brachte dieses Ereignis die Mitglieder völlig unterschiedlicher Ordnungen zusammen, nämlich die nach Vergnügen und Unterhaltung strebende Moskauer Freizeitklasse sowie die Tschetschenen, die eben jenes Schauspiel zur Erklärung ihrer politischen Forderungen nutzten. Diese Konfrontation erzeugte letztlich ein neues Schauspiel, das den Anlass des Musicals Nord-Ost transzendieren und gleichzeitig dem Theater des Terrorismus neue Nahrung verschaffen sollte, welches sich aktuell eines globalen Publikums erfreut.
Dem Musical Nord-Ost zugrunde liegenden russischen Roman Zwei Kapitäne entnimmt Catherine Sullivan für Ice Floes of Franz Joseph Land rund fünfzig pantomimische Handlung-en, die von allen Schauspielern, unabhängig von der Rolle, zu der die jeweilige Handlung gehörte, einstudiert wurden. Eine Folge von etwa vierzig Archetypen oder Kostümklischees auf der Grundlage des Romans erzeugen so ein System repräsentativer Impulse, die sich im Musiktheater finden, ohne dabei selbst ein Musical zu produzieren.
Im Kunstverein Braunschweig zeigt Catherine Sullivan ihre Videoarbeit Ice Floes of Franz Joseph Land erstmalig in räumlich voneinander getrennten Projektionen, wodurch fünf unabhängige Filmteile entstehen. Die Ausstellungsräume des Hauses Salve Hospes fungieren dabei wie eine Filmkulisse, der zwei dekorative Systeme zugrunde liegen – die Innenausstattung der Polish American Army Veterans Association in Chicago und die dekorativen Elemente der ehemaligen Braunschweiger Privatvilla, dem Sitz des Kunstvereins Braun-schweig. Catherine Sullivan greift hierfür Motive und einzelne architektonische Details aus dem Kontext der P.A.V.A. sowie ortsspezifische Elemente des Hauses Salve Hospes wie beispielsweise die Gewandfiguren in der Eingangsrotunde oder die Stuckdecke der beiden Konchenräume auf und setzt diese in einer Serie von abstrahierten Strukturen bühnenartig in einen neuen Bezug. Durch dieses ineinander verschachtelte System von Form und Inhalt kann der Besucher im Kunstverein Braunschweig das gesamte Projekt durch eine Abfolge von Transpositionen verfolgen – angefangen beim historischen Datum (die Geiselnahme in der Moskauer Oper, 2002), über das Musical Nord Ost, dem Roman Zwei Kapitäne, über die Räumlichkeiten der P.A.V.A. bis hin zu den räumlichen Gegebenheiten des Hauses Salve Hospes. Jede dieser Transpositionen lädt das Stück erneut mit zusätzlichen Referenzen, Rückschlüssen, Andeutungen und letztendlich Schlussfolgerungen auf, durch welche seine Themen gelesen werden.
Zur Ausstellung ist ein Katalog im jrp|ringier Verlag erschienen.
Unser Dank gilt der Niedersächsischen Lottostiftung und BS|ENERGY
Ebenfalls danken wir dem Hofbrauhaus Wolters, der Stadt Braunschweig und dem Land Niedersachsen.